Rettungsschirm für Berliner Kinder- und Jugendarbeit in Corona-Zeiten
14. September 2020
Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, die Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie, an die jugendpolitischen Sprecher*innen der Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus und in den bezirklichen BVV’en
Rettungsschirm für Berliner Jugendarbeit in Zeiten von Corona
Die Landesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit Berlin (kurz LAG OKJA Berlin) fordert die politischen Entscheidungsträger*innen, die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sowie die bezirklichen Jugendämter in Zeiten der Corona-Pandemie zum unverzüglichen und transparenten Handeln auf! Die Berliner Kinder- und Jugendarbeit leistet mit ihrem solidarischen, schnellen und unkomplizierten Engagement derzeit Großartiges für die Kinder und Jugendlichen unserer Stadt, auch um den starken Einschränkungen ihrer Lebenswelten mit Beteiligung und Kreativität entgegenzuwirken. Digitale Jugendarbeit, also die Medialisierung der Angebote und Kolleg*innen, aber auch der Umgang mit Kindern und Jugendlichen im öffentlichen Raum zählen derzeit zu wichtigen Themen der pädagogischen Fachkräfte.
Dennoch stellen sich der Kinder- und Jugendarbeit derzeit viele ungeklärte Fragen und Herausforderungen, mit denen die Bezirke zum Teil sehr unterschiedlich bis gar nicht umgehen: Umgang mit den Leistungsstunden und der KLR, die Beschäftigung der Honorarkräfte, ausfallende Mieteinnahmen, gestrichene Ferienprojekte und vieles mehr.
Wir fordern daher die politischen Entscheidungsträger*innen auf,
sich folgenden Sachverhalten zu stellen:
1.) Schnelle digitale Ausstattung der Berliner Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen
Die Jugendämter fordern Jugendclubs derzeit zum innovativen und digitalen Handeln auf, sind für die Kinder- und Jugendarbeit aber selbst nur eingeschränkt bis gar nicht erreichbar. Trotz der DSGVO haben die Jugendclubs ihre Arbeit bereits erfolgreich in den digitalen Raum verlagert. Wir fordern eine unverzügliche Ausstattung der Berliner Kinder- und Jugendclubs. Es bedarf eine entsprechende Technik etwa mobile Diensttelefone, Pads und/ oder PC’s, deren Anschaffung durch den Staat (etwa durch eine Sachkostenpauschale) finanziell ermöglicht werden muss. Der jahrelange Dornröschenschlaf und die damit verbundene Grauzone rächt sich jetzt. Lebensweltliche Jugendarbeit bedeutet digitale Jugendarbeit, nicht erst seit Corona. Junge Menschen bewegen sich im digitalen Raum! Arbeitet Jugendarbeit nicht digital, bricht sie mit dem Prinzip der Lebensweltorientierung. Es muss daher endlich gehandelt werden!
2.) Erreichbarkeit der Kinder- und Jugendförderungen in den Bezirken herstellen
Die Bezirksämter werden aufgefordert, ihre Kinder- und Jugendförderungen mit digitalem Know-how und Technik auszustatten und zu unterstützen. Zum Teil sind die Kolleg*innen der Fachsteuerung als Fachberatung derzeit nicht erreichbar. Das muss geändert werden. Auch andere Leistungsabteilungen der Bezirksämter sind davon betroffen, sodass noch ausstehende Leistungsverträge oder notwendige Abschlagszahlungen nicht ausgeführt werden können. Auch die kommunalen Kolleg*innen der Jugendämter müssen vom IT-Service unterstützt werden! Teilweise greifen sie bereits auf innovative Ideen zurück, andere nicht. Also, mehr davon!
3.) Digitale Jugendarbeit Berlin und Datenschutz
Es braucht eine klare Aussage seitens der Verwaltung, wie mit dem Datenschutz in Zeiten von Corona (und natürlich darüber hinaus) seitens der Kinder- und Jugendarbeit zu verfahren ist! Die Diskussionen rund um die DSGVO wurden in den vergangenen Jahren nicht zu Ende geführt (siehe Pkt. 1). Auf der einen Seite fordern Senat und Bezirke zur digitalen Jugendarbeit auf, andererseits sind „WhatsApp-Gruppen“ bislang offiziell nicht erlaubt. Wie können digitale Leistungsstunden abgerechnet werden, wenn diese überhaupt nicht angeboten werden dürfen? Hier braucht es eine zügige, transparente Klärung und Rechtssicherheit für Jugendarbeiter*innen und Kinder und Jugendliche!
4.) Umgang mit den Leistungsstunden und der Berliner Kosten-Leistungs-Rechnung
Wir fordern das (temporäre) Aussetzen des Kosten-Leistungs-Rechnungs-Prinzips. Berlin soll sich endlich den Finanzierungslogiken aus anderen Bundesländern anschließen oder eine eigene sinnvolle und handlungsfeldkonforme Lösung zur Finanzierung von Jugendarbeit finden. Das Jugendfördergesetz hat das bisher nicht geschafft. Die Corona-Krise zeigt, dass das bisherige Prozedere absolut suboptimal ist. Es braucht jetzt endlich eine einheitliche Lösung an der Seite der Jugendarbeiter*innen vor Ort, auch bzgl. des Zählens und Abrechnens von Leistungsstunden (in Corona-Zeiten). Bisher wurde eine einheitliche Zählweise (trotz Jugendfördergesetz) in Berlin versäumt. Die bezirklichen Jugendförderungen + KLR-Controller*innen werden aufgefordert, eine kurzfristige einheitliche Lösung zum Umgang mit der KLR während der Corona-Pandemie herbeizuführen und Praktiker*innen sowie freie Träger bei der Erarbeitung dieser Lösung zu beteiligen. Der Vorstoß vom Jugendamt Mitte zur linearen Zählung der Leistungsstunden ist als kurzfristige Lösung zu berücksichtigen.
5.) Unterstützung der Berliner Freiberufler*innen in der Kinder- und Jugendarbeit
Die Berliner Jugendarbeit lebt von ihren kreativen Honorarkräften! Da die Einrichtungen derzeit geschlossen sind, können Honorarkräfte nicht wie im bisherigen Umfang gehalten werden. Das trifft die freiberuflichen Kolleg*innen besonders stark und stellt sie vor ökonomische Herausforderungen. Senat und Bezirke werden aufgefordert eine Lösung herbeizuführen und sich zu den Freiberufler*innen in der Kinder- und Jugendarbeit zu bekennen.
6.) Kurz-Arbeit in der Kinder- und Jugendarbeit
Wegen fehlender Einnahmen (etwa durch Miete, Kurse usw.) stehen einige freie Träger der Berliner Kinder- und Jugendeinrichtungen derzeit vor der Frage, Kurzarbeit zu beantragen. Wir fordern Senat und Bezirke zu einem verantwortungsvollen, schnellen Handeln und Abwenden dieser Maßnahmen auf, um die Kinder- und Jugendarbeit (auch in Zukunft) sicherzustellen. Das Kurzarbeit-Modell hätte für die Jugendarbeit katastrophale Auswirkungen. Prekäre Personalausstattung, Fachkräftemangel und eine unangemesse niedrige Entlohnung begleitet das Feld ohnehin schon seit vielen Jahren! Gerade in der Krise braucht Berlin eine stark und vielfältig aufgestellte handlungsfähige Jugendarbeit! Mehr denn je!
7.) Digitales Engagement der Schulen objektiv reflektieren
Viele Kinder und Jugendlichen berichten derzeit von einem noch höheren Leistungsdruck durch Schule als sonst. Zum Teil müssen sie bis in den späten Nachmittag und Abend hinein pauken. Schulen greifen dafür derzeit auf zum Teil provisorische digitale Möglichkeiten zurück. Nicht alle Lehrkräfte können einschätzen, was machbare und guteHausaufgaben sind geschweige denn, ob und wie sie Kids gut und digital dabei begleiten können. Nur weil Schule (partiell) vergessen hat sich weiterzuentwickeln, kann nicht gleichzeitig erwartet werden, dass Kids wie immer funktionieren und immer noch unverhältnismäßig hohe Leistungen von ihnen gefordert werden! Wir fordern hier das Maß des Machbaren! Nicht nur Lernen, sondern gemeinsam Bildung (digital) erfahrbar machen und erleben, sollte das Gebot der (digitalen) Stunde sein. Jugendarbeit zeigt, wie das funktionieren kann!
Wir fordern Senatsverwaltung und Bezirke daher auf, einen unverzüglichen Rettungsschirm für die Berliner Kinder- und Jugendarbeit aufzulegen, um unbürokratische und schnelle Unterstützung zu gewährleisten. Dieser Notfallfonds soll für die Angebote der Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII, der Jugendverbandsarbeit nach § 12 SGB VIII und der Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII aufgelegt werden und auch für die Jugendbildungsstätten und weitere Angebote in diesen Leistungsbereichen gelten.
Jugendarbeit ist das Feld in der Kinder- und Jugendhilfe, das deutschland- und berlinweit finanziell am prekärsten ausgestattet ist. Die Corona-Krise darf nicht dazu führen, dass sich dieses Phänomen weiter zuspitzt! Es braucht einen solidarischen Schulterschluss zwischen Praxis, Verwaltung und Jugendpolitik.
Wir fordern daher ebenfalls auf, die jetzt entstehenden Kosten in der Kinder- und Jugendarbeit (nach §11-§13 SGB VIII) verbindlich als komplett förderfähig anzuerkennen und dies bei den entsprechenden Abrechnungen der Fördermittel zu berücksichtigen.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit Berlin und ihre Akteur*innen bieten sich als engagierte Partner*innen für den hier dargestellten Diskurs an und stellen sowohl beim inhaltlichen als auch technisch-digitalen (Such-)Diskurs ihr Know-how zur Verfügung.
Landesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit, 25.03.2020

Wir fordern die Entscheidungsträger*innen auf, die Bedeutung der Digitalität in der Jugendarbeit anzuerkennen und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen – etwa durch die Bereitstellung und Finanzierung notwendiger technischer Ausstattung und zusätzlicher Leistungsstunden – zu schaffen. Die Aufforderungen der Bezirksämter zu Austausch, Transparenz und gemeinsamer Lösung während der Corona-Pandemie kann keine Einbahnstraße sein.